„Das Wort Miete löst in meinem Kopf automatisch einen Denkprozess aus. Deshalb, als ich wieder an diesem Schild vorbeiging, hat innerlich etwas umgeschaltet“, sagt Olena, die trotz vieler Schwierigkeiten im System einen Friseursalon in Berlin eröffnet hat.
Olena aus Saporischschja, die vor dem Krieg ein Netzwerk von Schönheitssalons führte und an einer Friseurkunstschule unterrichtete, befand sich nach dem 24. Februar 2022, wie viele andere Flüchtlinge, in einem völlig orientierungslosen Zustand. Trotz aller Missverständnisse und Schwierigkeiten gelang es ihr jedoch ziemlich schnell, eine kleine Schönheits-Oase im Zentrum von Berlin einzurichten. Jetzt haben alle die Möglichkeit, den von Olena gegründeten Friseursalon „SHO“ zu besuchen. Was und wie sie zu dieser Idee führte, welche Schwierigkeiten auf ihrem Weg lagen und welche Pläne sie für die Zukunft hat, erfahren wir im Interview.
Erzähle kurz von deiner Ankunft in Deutschland. Wann und mit wem bist du angekommen?
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Ich erinnere mich, wie ich in einer Hand einen kleinen Koffer und in der anderen die Hand meiner Tochter hielt. Dann der Evakuierungszug nach Przemyśl mit 18 Personen im Abteil und ein Tag an der Grenze. Alles war wie im Nebel, denn ich war in völliger Panik, wie alle Menschen um mich herum. Wir mussten nach Berlin fahren, weil die Eltern meiner Freundin aus Saporischschja dort lebten. So brachte ich sie hierher, und blieb mit meiner Tochter.
Erinnere dich an deine ersten Eindrücke vom Leben hier. Was war am schwierigsten? Wo lagen die Herausforderungen?
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Ich fühlte keinen starken Unbehagen, weil es mir in Europa gut geht. Außerdem spürte ich die Unterstützung der Deutschen, was das Leben sehr erleichterte. Aber der andere Mentalität war ein wenig anstrengend. Ich konnte lange nicht verstehen, warum kleine Probleme hier so lange und kompliziert gelöst werden.
Hast du dich hier als Fachkraft gesehen, wie du es in der Ukraine warst? Oder hast du verstanden, dass du einen neuen Weg suchen wirst?
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Mein ganzes Leben dreht sich um das Friseurhandwerk. Seit ich mit 18 Jahren zu arbeiten begann, entwickelte ich mich ständig weiter: Lehre, dann Geschäft. Aber diese Tätigkeit ist mein Beruf, meine Leidenschaft, alles. Deshalb wusste ich genau, dass ich weder die Zeit noch die Ressourcen hatte, etwas Neues zu lernen. Und wozu auch? Es ist schon ein großer Stress für den Körper.
Also hast du hier angefangen zu arbeiten, verstehe ich das richtig?
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Ja. Noch in Przemyśl hatte ich das Glück, einen Freiwilligen namens Lothar kennenzulernen, der in meinem Leben eine große Rolle spielte. Er fand eine Unterkunft für uns (die deutsche Familie Dina und Ralf erlaubte uns, ein Jahr lang umsonst zu leben) und half mir, eine Arbeit zu finden. So arbeitete ich bereits im April 2022 in einem Elite-Schönheitssalon in Berlin. Natürlich sprach ich kein Deutsch, aber ich spreche gut Englisch und bin eine gute Fachkraft. Ich wurde sehr schnell und gerne eingestellt.
Wie lange hast du dort gearbeitet und was hat es dir gebracht?
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Die Arbeit war sehr schwer. Die Belastung war enorm. Acht Stunden ohne Pause auf den Beinen: Schneiden, Färben, Styling… Ich hielt es kaum aus, ehrlich gesagt. Ich war solche Arbeit nicht gewohnt. Und nach sechs Monaten habe ich gekündigt. Aber diese Erfahrung hat mir gezeigt: Es gibt Nachfrage, es gibt eine Nische, ich habe die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden verstanden. Ich weiß jetzt, wie es hier laufen kann, welche Nuancen es gibt.
Was war der erste Impuls für dich, deinen eigenen Schönheitssalon zu eröffnen?
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Jeden Tag ging ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause an diesem und dem benachbarten Gebäude mit dem Schild „zu vermieten“ vorbei. Da ich lange im Geschäft bin, löst das Wort „Miete“ in meinem Kopf automatisch einen Denkprozess aus: „Was kann man damit machen?“ Und eines Tages, als ich erschöpft daran vorbeiging, fühlte ich einen Ruck. Ich schrieb die Telefonnummer auf. Am nächsten Tag rief ich mit Hilfe eines Bekannten, weil ich kein Deutsch konnte, wegen der Bedingungen und Kosten des Raumes an.
Dein Salon hat einen interessanten Namen „SHO“. Warum „SHO“?
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Ich wollte etwas Ukrainisches. Wenn ein Ukrainer „SHO“ liest, denkt er „Was? Was ist das Interessantes?“ Aber auch für die Einheimischen wirkt der Name ansprechend und interessant.
Wer sind deine Kunden? Nur Ukrainer?
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Nein, ungefähr 70 zu 30. Deutsche kommen nach und nach. Sie mögen den Service und das Niveau meiner Dienstleistungen. Es gibt schon einige Stammkunden.
Was hat dich zum Handeln motiviert? Wer oder was hat dir vielleicht geholfen?
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Mein aufrichtiges Verlangen war immer der beste Motivator. Und Hilfe kam mir irgendwie leicht und wie aus dem Nichts. Zum Beispiel half mir die deutsche Familie Shelton, bei der wir wohnten, bei den Verhandlungen über die Räumlichkeiten. Jetzt ist meine Hauptstütze, Unterstützung und Hilfe meine Tochter.
Welche Hindernisse gab es auf deinem Weg? Gab es Angst, Unsicherheit, den Wunsch aufzugeben? Wie hast du das überwunden?
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Was ich sehr unverständlich finde und meiner Meinung nach ein großes Hindernis für alle handwerklichen Berufe ist, ist, dass hier eine spezielle Ausbildung erforderlich ist, die auch noch lange dauert (bis zu drei Jahre). Daher war es schon eine Herausforderung, einfach nachzuweisen, dass ich zumindest Friseurhelferin bin. Und um Meister zu sein, musste ich eine Prüfung ablegen. Denn sonst habe ich kein Recht, einen eigenen Salon zu gründen. Manchmal schien alles ein Teufelskreis zu sein und ich wollte weinen. Aber ich schrieb und schickte viele Briefe an alle möglichen Behörden, nur damit alles klappt. Den Wunsch aufzuhören hatte ich nie. Denn ich schaue oft zurück und sehe, welchen Weg ich schon gegangen bin. Dann sage ich mir: „Und wohin jetzt zurück?“
Was möchtest du den ukrainischen Flüchtlingen sagen, die sich momentan verloren fühlen und nicht wissen, was sie tun sollen?
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Man muss einen festen Standpunkt finden. Zuerst muss man sich selbst verstehen und wissen, was man will. Dann Prioritäten setzen und ihnen folgen. Denn wenn man kein Verständnis, kein Ziel hat, was man am Ende will, wird nichts funktionieren. Niemand wird dich an die Hand nehmen und dir sagen, dass es hier und hier gut für dich ist, entwickle dich. Man muss auf sich selbst hören. Man sollte keine Angst vor dem System, der Bürokratie und den Regeln haben. Es gibt immer Ausnahmen von jeder Regel. Handeln und alles wird gelingen.
Wie siehst du dich weiter hier in Deutschland?
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Ich bin ein Weltmensch und setze mir keine Anker. Aber ich möchte auch das Leben der Ukrainer erleichtern. Ich plane, eine Schule für Friseurhandwerk zu eröffnen. Ich habe viel Erfahrung im Unterrichten und es bringt mir große Freude. Aber dafür muss ich selbst noch eine Prüfung ablegen, um das Recht dazu zu haben. Außerdem setze ich große Hoffnungen auf die Entwicklung dieses Salons, damit hier Ukrainer arbeiten. Vielleicht auch andere Orte der Schönheit schaffen, und nicht nur in Deutschland.